New Healthstyle: Selfcare schlägt Selbstoptimierung
Schon vor der Pandemie war Gesundheit für die Deutschen der wichtigste Wert. Im Werte-Index 2020 von Trendbüro, Kantar und Bonsai Research steht sie auf Platz eins. Sie wird es auch in Zukunft bleiben, denn die Erfahrung der eigenen Fragilität wirkt bei vielen Menschen nach. Zwei von drei Befragten aus der Gen Y wollen laut der QVC-Studie künftig genauer beobachten, ob ihr Körper Krankheitssymptome zeigt.
Das Corona-Virus selbst blieb für den Einzelnen schwer greifbar. Doch die eigene Fitness lässt sich steuern. Aktivitäten, die das Immunsystem stärken, sind während der Pandemie stärker denn je gefragt. Das Thema Selbstoptimierung bekam neue Schubkraft. Isoliert in den eigenen vier Wänden wurde sie von der reinen Freizeit-Idee zum Muss. Die Sport-Profis im Netz legten die Messlatte hoch: So absolvierte der Franzose Elisha Nochomovitz trotz Ausgangssperre einen Marathon, indem er auf seinem sieben Meter langen Balkon hin- und herrannte[i]. Die US-amerikanische Bodenturnerin Shawn Johnson rief auf Instagram und TikTok zur Handstand-Challenge auf. Die Hausaufgabe bestand darin, sich während der Übung kopfüber ein T-Shirt anzuziehen[ii].
Bei Pinterest stiegen die Suchanfragen nach „Workout von Zuhause“ bis April 2020 um 400 Prozent[iii]. In den USA verfünffachte sich Anfang April innerhalb weniger Tage die Zahl der Home-Workout-Beiträge in Instagram-Stories und -Feeds. Ob Krafttraining mit Kuhglocken oder Heimtrainer: Jeder nahm sich vor, den eigenen Körper während der Kontaktbeschränkungen fit zu halten.
Die Videoaufrufe des Online-Anbieters YogaEasy stiegen zeitweilig um bis zu 300 Prozent[iv]. Wohin die weitere Reise beim Heimsport gehen könnte, zeigten die Hersteller des Sportgeräts Icaros Home schon Ende 2019: Trainiert wird mit einer VR-Brille. Der Körper liegt auf einer Art Flugsimulator, den man durch Muskelkraft in Balance hält. Wie in einem Videospiel fliegt der Trainierende durch virtuelle Welten.
Zwischen Schweinehund und Nervenprobe
57 Prozent aus der Generation Z wollen laut der aktuellen QVC-Umfrage Fitness-Streaming für beispielsweise Workouts, Yoga oder Trainer-Klassen künftig mehr nutzen. Bleibt die Frage, wie konsequent die Fitnesskurse tatsächlich durchgezogen werden. In einer YouGov-Umfrage gaben 38 Prozent der Erwachsenen an, sich während der Krise weniger zu bewegen. 60 Prozent der zwischen 18- und 24-Jährigen erklärten, länger als gewöhnlich vor dem Fernseher, dem Rechner oder der Spielekonsole zu sitzen[v].
Geistige Zerstreuung ist ein starker Gegner der sportlichen Disziplin – in der Krise mehr denn je. Es gilt nicht nur, den Körper in Form zu halten, sondern auch mental stabil zu bleiben. 80 Prozent aus der Generation Z wünschen sich laut der aktuellen QVC-Umfrage, schneller, konzentrierter und kreativer denken zu können: ein Zuwachs von zehn Prozent seit 2018. „Psychologische Gesundheit in Krisenzeiten ist wie ein Wrestling Match. Die Situation wirft Stress auf dich. Die Frage ist, ob deine Bewältigungs-Strategien stark genug sind, sie zu überwinden“, schrieb Kolumnist David Brooks in der New York Times[vi].
Ungewissheit und existentielle Ängste trafen viele während der Krise in ungekannter Härte. Wer dem negativen psychischen Erregungszustand etwas entgegensetzen wollte, meditierte oder versuchte sich in mentaler Fitness. Andere trainierten ihre Reaktionsfähigkeiten durch Konzentrationsübungen. Alles, was den Kopf für eine Weile beruhigt, war nun wertvoller. Der Spielehersteller Ravensburger verzeichnete in den Corona-Tagen fünfmal mehr Nachfrage nach Gesellschaftsspielen und Puzzles als im Vorjahreszeitraum. Besonders beliebt: Motive für Erwachsene mit 1.000 Teilen[vii].
Live-Meditation verbindet
Selbstoptimierung baut Druck auf. Selfcare hingegen nimmt ihn. Apps für mentale Gesundheit sind gefragter denn je. Die Entwickler der Meditations-App Headspace beispielsweise verkündeten, die Downloads hätten sich seit Mitte März 2020 verdoppelt. Besonders beliebt war das Live Meditations-Feature, das um bis zu 70 Prozent mehr genutzt wurde. Zu einer bestimmten Uhrzeit live mit anderen zu meditieren, stärkt das Gefühl von Verbundenheit und wirkt gegen die Einsamkeit[viii]. Reicht das nicht aus, kann man sich mit der App Replika auf Basis Künstlicher Intelligenz einen digitalen Freund oder eine Freundin kreieren, die 24 Stunden am Tag zuhört und für alle Sorgen ein offenes Ohr hat[ix].
Messen und beobachten im Selbstversuch
Zur neuen Selbstverständlichkeit wurde in der Krise auch das Monitoring des eigenen Körpers. Wer sich nicht sicher ist, ob er sich noch ins Wartezimmer trauen kann, beobachtet sich selbst umso genauer. Die Nachfrage nach Fieberthermometern stieg in der 12. Kalenderwoche 2020 auf idealo.de um 2.968 Prozent an[x]. Schließlich war die Körpertemperatur ein Indikator für eine mögliche Corona-Erkrankung. Drei Viertel der Deutschen wünschen laut der QVC-Umfrage schnelle Labortests für zu Hause, zum Beispiel Corona-Tests.
Es zeigt sich: Die digitalen Innovationen einer vernetzten Medizintechnologie werden durch die Krise leichter akzeptiert – ihre Verbreitung beschleunigt sich. Laut der QVC-Umfrage können sich 38 Prozent der Deutschen für die Zukunft Mikrochips im Körper vorstellen, die zum Beispiel auch ärztliche Hilfe holen – das sind zwölf Prozent mehr als 2018. Fitnessbänder und Wearables haben längst den Massenmarkt erreicht. Bereits im dritten Quartal 2019 gingen weltweit 45,5 Millionen Wearables über die Ladentheke – mehr als in jedem Quartal zuvor[xi].
Telemedizin im Aufwind
Damit wird der Weg bereitet für die automatische Ferndiagnose, neue Telemedizin-Services und persönliche Versicherungsangebote. Drei von vier US-Amerikanern geben in einer YouGov-Umfrage im April 2020 an, die Behandlung via Telemedizin als bequem zu empfinden[xii]. Bei der Techniker Krankenkasse können sich Versicherte mit einer Corona-Infektion oder dem Verdacht darauf seit Kurzem über eine App per Videotelefonie behandeln lassen. Neben dem klassischen Papierrezept steht auch ein elektronisches Rezept zur Wahl. Per QR-Code auf dem Smartphone kann man es direkt an Apotheken weiterleiten[xiii]. Boston Dynamics’ vermarktet derweil den Roboterhund Spot: Der metallene Vierbeiner trägt ein Tablet mit sich, über das Ärzte und Pfleger kontaktlos mit COVID-19-Patienten kommunizieren. Ist er damit gerade nicht ausgelastet, kann Spot auch Räume desinfizieren[xiv].
Quellen:
[i] https://edition.cnn.com/2020/03/23/world/balcony-marathon-trnd/index.html
[ii] https://www.instagram.com/p/B_Au5WDgiI2/
[v] https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/bewegung-corona-studie-yougov-dpa-1.4888634
[vi] https://www.nytimes.com/2020/04/02/opinion/mental-health-coronavirus.html
[viii] https://www.washingtonpost.com/technology/2020/04/21/meditation-up-during-coronavirus/
[x] https://www.onetoone.de/artikel/db/968978SUR.html
[xiv] https://mixed.de/telemedizin-robohund-spot-traegt-aerzte-zu-covid-19-patienten/